Gesammelte Blicke
Es gehört einiges Selbstvertrauen dazu, sich in den sechziger Jahren als junger Künstler figurativer Malerei zu verschreiben. Norbert Tadeusz tat es. Ein imponierendes malerisches Werk ist daraus erwachsen, dem heute weithin Bewunderung gezollt wird. Aber Tadeusz hatte ein Thema, geradezu eine Obsession. Sie galt dem weiblichen Körper. Seiner wollte er habhaft werden, als Bildhauer ganz zu Beginn, noch in der Klasse von Joseph Beuys, als Maler seither. Weibliche Akte lieferten ihm die vielfältigsten Malanlässe, setzten mehr als alles andere seine bohrende malerische Neugier in Gang; Akte blieben ihm fragwürdiges Mysterium und also ein unerschöpflicher Gegenstand seiner Formanstrengung.
Tadeusz’ malerisches Werk hat sich ganz überwiegend in großen bis sehr großen Formaten entfaltet, in komplex strukturierten Gemälden von herber Motivik in geschmeidiger bis aggressiv potenzierter Farbigkeit. Daneben entstand, von einer größeren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, eine fast private Produktion, die der Künstler, wenn schon nicht gerade zu verbergen trachtete, so doch für sich behielt, sorgsam aufbewahrte und jedenfalls über Jahrzehnte im Schutz des Ateliers beließ: kleine Öle intimen Charakters, überaus fesselnd in ihrer Direktheit und Intensität. Eine Art persönlicher Fundus an Skizzen und Formentwürfen, an Vorüberlegungen und spontanen Niederschriften, doch stets gezügelt und präzis. Diese Bilder haben ihren ganzen Charakter nach etwas Beiläufiges, Absichtsloses. Gefällig sind sie nicht. Sie zeigen Interieurs von banaler Alltäglichkeit. Weibliche Modelle lagern auf Teppichen und Laken, zwischen Heizkörper und Fernsehgerät, posieren auf Hockern und spiegelnden schwarzen Flügeln. In seiner engsten Umgebung, in seinem Atelier findet Tadeusz seine visuelle Nahrung. Nirgends unternimmt der Künstler den Versuch, etwas zu erzählen. Keine Aufgewühltheiten, kein Pathos. Tadeusz zeigt. Sein Blick erfindet Themen. Mit diesem Blick überrascht er uns.
Lustvoll heftet er sich an das Ungewohnte, enthüllt eine ungeschönt sinnliche Wirklichkeit voll der Melancholien, in der sehr irdische Göttinnen agieren. Tadeusz hält sich an das Fassbare, Handgreifliche. Seine Aufmerksamkeit gilt den Dingen, Akt oder Leiter gleichermaßen. Ihnen verhilft er mit vitalem Pinselstrich zu eindringlicher Präsenz. Aus ihnen destilliert er unermüdlich seine ganz persönlichen Reizkonstellationen. Doch noch bevor das Sujet Interesse weckt, sieht man sich durch das bloße Spiel der lesbar angeordneten Formen und Farben angezogen. Ordnung und Leidenschaft, eine gefühlsmäßige Geometrie formt die geheime Architektur seiner Bilder. Bizarrerien setzen die Aufmerksamkeit in Gang. Akte und Requisiten verschmelzen zu eigentümlichen Symbiosen. Ein geschärfter Farbsinn bricht sich in ungemilderten Kontrasten Bahn, bringt die Flächen mit delikatem Schmelz oder grell aufreizend zum Leuchten. Extreme Blickwinkel, Verkürzungen, wechselnde Aufsichten halten das räumliche Gefüge in einer fragilen Balance wie auch ein spürbarer perspektivischer Sog, der wie die Sonde eines Geologen ins Innere des Bildkörpers zielt.
Tadeusz’ Gegenständlichkeit bleibt uneindeutig und fragmentarisch. Mit dekonstruktiver Energie angelegt, sind seine Bilder nicht mit einem Blick zu erfassen. Sie fordern ein ebenso bewegliches Spiel der Wahrnehmung heraus, das jedes Zentrum der Anziehung zugleich als Randzone eines anderen erkennt, das Figuren und Intervalle gleichermaßen umkreist und jenem mit Raffinesse ausgelegten Netz zufälliger Beziehungen folgt, das in Wiederholungen, Verdoppelungen und Symmetrien seinen stärksten Ausdruck sucht. Diagonalen geben Bewegung und Tempo vor. Wer Tadeusz’ schweifenden Malerauge folgt, gewärtigt Bilder eines unvermuteten Zaubers; erfährt, anders gesagt, wie die umgeschlagene Ecke eines Teppichs Ereignis werden kann.
Text von Dorothea Baumer, aus: Norbert Tadeusz. Bilder 1964 – 2004, Galerie Fred Jahn, München
Vita
1940
Norbert Tadeusz wird am 19. Februar in Dortmund geboren
1960—1961
Werkkunstschule Dortmund
Studium der Freien Malerei bei Gustav Deppe
1961—1966
Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme, Joseph Fassbender und Joseph Beuys (Meisterschüler)
1971
Förderpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie
1973—1981
Dozent an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf
1981—1988
Professor an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf
1982
Teilnahme an der Biennale in Venedig
1983
Villa-Romana-Preis, Florenz
1988—1991
Professor an der Hochschule der Künste in Berlin
1991—2003
Professor an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig
2011
Norbert Tadeusz stirbt am 11. Juli in Düsseldorf
Selected Solo Shows
2021
Himmelgeister, Norbert Tadeusz zum 10. Todestag – Mittelrhein Museum Koblenz, Koblenz
2018
Tadeusz. Figur – Beck & Eggeling International Fine Art, Wien
2017
Hummelglück – Beck & Eggeling International Fine Art, Düsseldorf
2016
Lasst Blumen sprechen – Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau
Meat. The rejected paintings – Faurschou Foundation Beijing, Peking
2015
Norbert Tadeusz. Gemälde 1978–2002 – Kunstsammlungen Chemnitz, Chemnitz
Studio – Museum ESMoA, El Segundo (in Zusammenarbeit mit dem LACMA)
Materie und Gedächtnis – Sammlung Hurrle Durbach, Museum für aktuelle Kunst, Durbach
Norbert Tadeusz. Malerei. Werke aus der Schaffenszeit 1969–2009 – Galerie Bernheimer, München
2014
Norbert Tadeusz – Im Schaukabinett des Albertinums, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden
Von Tribünen und Spielfeldern – Studio Michael Royen, Vettelschoß
2013
Nobert Tadeusz. Cavalli – Galerie Utermann, Dortmund (Kat.)
Skulpturen, Zeichnungen und Aquarelle 1960er bis 1980er Jahre – Galerie Fred Jahn, München
Norbert Tadeusz. Die Wirklichkeit ist, wie sie ist – Kunstverein Ulm, Ulm
2012
Norbert Tadeusz. Nighthawks – Böhm Chapel, Hürth
2011
Zeichnungen, Aquarelle, Collagen 1960–2010 – Karl & Faber, München (in Zusammenarbeit mit Galerie Fred Jahn, München)
Aquarelle und Zeichnungen 1960–1969 – Schönewald Fine Arts, Düsseldorf
Norbert Tadeusz. Paintings – Galerie Schönewald und Beuse, Düsseldorf
2010
Norbert Tadeusz. 70 Jahre. Neue Bilder – Galerie Noah, Augsburg
Norbert Tadeusz. Arbeiten auf Papier – Staatliche Graphische Sammlung München, Pinakothek der Moderne, München (Kat.)
Adaptionen. Neue Bilder – Galerie Fred Jahn, München
Time After Time. Norbert Tadeusz zum 70. – Mönchehaus Museum, Goslar (Kat.)
bodenlos! Nobert Tadeusz – Kunsthalle Darmstadt, Darmstadt (Kat.)
2009
Schatten. Bilder von Norbert Tadeusz – Kunstmuseum Bochum, Bochum
Dunkle Begleiter. Schattenbilder von 1965–2009 – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf
2008
Arkaden I, Arkaden II, Roter Fries – Pumpwerk Evinger Bach, Dortmund
Nobert Tadeusz. Malerei – Galerie Beyer, Dresden
Nighthawks – Museum Ludwig, Köln
Gemälde 1978–2002 – Kunstsammlungen Chemnitz, Chemnitz (Kat.)
Cavalli – Kunsthalle Koblenz, Koblenz
2007
Anachronismen zur Gegenwart – Kulturspeicher im Landesmuseum, Oldenburg (Kat.)
2006
Varengeville – Galerie Utermann, Dortmund
Körper-Farbe-Licht. Norbert Tadeusz in der Barockgalerie – Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig (Kat.)
Bilder – Krefelder Kunstverein, Krefeld
2005
Elementar. Malerei, Zeichnungen, Skulpturen – DG Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e. V., München (Kat.)
Trilogien – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf
Der deutliche Blick. Bilder und Blätter – Galerie Noah, Augsburg
2004
Graphik – Galerie Zell am See, Zell am See
Bilder 1964–2004 – Galerie Fred Jahn, München (Kat.)
von oben / d’en haut / from up above – Ludwig Museum im Deutschherrenhaus, Koblenz (Kat.)
2003
Italien sichten – Neues Museum Weimar, Weimar (Kat.)
Bilder – Deutsche Botschaft, London
Radierungen – Galerie Fred Jahn, München
2002
Überarbeitete Fotos 1969–2001 – Galerie Fred Jahn, München
Bilder – Galerie Thomas, München (Kat.)
Körper – Ehemalige Reichskanzlei Kornelimünster, Aachen (Kat.)
2000
Tadeusz 1967–1999. Bilder aus einer Berliner Privatsammlung – Kunsthalle Lingen, Lingen (Kat.)
Druckgrafik. Arbeiten der letzten fünf Jahre – BDA-Galerie, Braunschweig (Kat.)
Existenz und Passion. Werke 1962–2000 – Museum am Ostwall, Dortmund (Kat.)
1999
Bilder 1964 bis 1977 – Galerie Fred Jahn, München (Kat.)
Galerie Hans Strelow, Düsseldorf
Works on Paper – Edinburgh College of Art, Edinburgh (Kat.)
1998
Energische Augenblicke. Bilder bis 1997 – Rheinisches Landesmuseum, Bonn
Bilder 1964 bis 1977 – Galerie Pels-Leusden, Berlin (Kat.)
1997
Night Hawks – Galerie Barlach, Halle K, Hamburg
Werke 1962–1996 – Galerie Vömel, Düsseldorf (Kat.)
1996
Olimpia – Von der Heydt-Museum, Wuppertal
Bilder 1960–1992 – Galerie Brigitte Ihsen, Köln
1995
Galerie Heseler, München
Zeichnungen der 60er und 70er Jahre – Galerie Fred Jahn, München
1994
Landschaft-Technik – Galerie J. Friedrich, Dortmund (Kat.)
Innen und außen – Galerie Eva Poll, Berlin
Olimpia mit schwarzem Flügel. Neue Bilder – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf (Kat.)
1993
Plastiken – Galerie Hans Barlach, Hamburg (Kat.)
Papierarbeiten aus drei Jahrzehnten – Museum Katharinenhof, Kranenburg, Nordrhein-Westfalen
Ein Bild – Museum am Ostwall, Dortmund
1991
Bilder 1980–1991 – Kunstmuseum Düsseldorf (Kat.)
Nudes, Landscapes and Flower Paintings – Ruth Siegel Gallery, New York (Kat.)
1990
Plastiken – Galerie Hans Barlach, Köln/Hamburg (Kat.)
1989
Bilder und Zeichnungen – Galerie Eva Poll, Berlin
1988
Bilder – Badischer Kunstverein, Karlsruhe (Kat.)
Bewegungsbilder – Galerie Hermeyer, München
1987
Akte-in transitu – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf (Kat.)
1986
Bilder 1971–1985 – Galerie Hermeyer, München
1985
Menschenbild-Christusbild – Rabanus Maurus-Akademie, Wiesbaden
Kunstnernes Hus, Oslo und Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen (Kat.)
1984
Vorhölle-Carni – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf (Kat.)
Galerie Claude Bernard, Paris
1983
Galerie Fred Lanzenberg, Brüssel
Galleria Schema, Florenz
Galleria Vivita, Florenz
1981
Gemälde 1960–1980 – Museum am Ostwall, Dortmund (Kat.)
Neue Bilder und Gouachen – Galerie Wolfgang Gmyrek, Düsseldorf
1980
Bilder 1962–1980 – Kunstverein Braunschweig, Braunschweig (Kat.)
Gemälde 1975–1980 – Neue Galerie-Sammlung Ludwig, Aachen (Kat.)
1978
Bilder, Gouachen – Galerie Axiom, Köln
1976
Bilder von 1962 bis 1973 – Galerie Kröner, Freiburg
1974
Bilder 1963–1974 – Galerie Poll, Berlin
1973
Werke 1963–1973 – Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf (Kat.)
Galerie Onnasch, Köln (Kat.)
1970
Zeichnungen, Gouachen – Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Düsseldorf (Kat.)
1967
Galerie Gunar, Düsseldorf
Galerie Dahlem, Darmstadt
1966
Galerie Gunar, Düsseldorf (Kat.)