Die Arbeiten von Lutz Braun, der in Berlin lebt, zeigen ruinöse, (alb-)traumhafte Landschaften, vereinzelt mit Menschen, die schattenhaft darin auftauchen. Jegliches von einer städtischen Szenerie ausgehende Idyll ist eliminiert. Einsamkeit und Vergänglichkeit herrschen vor – eine Art von Endzeitlichkeit. Und dennoch ist der Raum von einer Atmosphäre erfüllt, die seltsam einladend auf den Betrachter wirkt. Eine bizarre, humorvolle Seite schwingt mit.
Der oben beschriebene thematische Aspekt sowie wie die spezifische erzählerische Form sind in Lutz Brauns Malereien und Zeichnungen sehr bedeutsam. Beide Gesichtspunkte werden an Hand der Persönlichkeit des Künstlers wie auch historisch beleuchtet, um ihrer Vielschichtigkeit näher zu kommen.
In der Malerei „Vägen“ zum Beispiel wandert eine Figur entlang eines sterbenden Waldes mit Bäumen ohne Grün. Kahl und nackt weisen die Äste wie Arme seitwärts – ein Motiv, das sich in den überlängten Gliedmaßen der Figur wiederholt und ihre Körperlichkeit vor der kargen Landschaft grotesk wirken lässt. Leere und Stille herrschen vor und befremden. Allgemein gültiges Wissen und die Alltagserfahrung des Betrachters werden so raffiniert kolportiert: Eine bewaldete Landschaft wird bedrohlich, ein Mensch zum Schatten seiner selbst. Doch woher kommt nur dieser Funke des Humorvollen, der gleichsam für die „Hoffnung“ steht?
Vor allem die Farbigkeit ist es, die diese Ambivalenz der Darstellung bestimmt und die Verbindung des Künstlers zu seinem ehemaligen Lehrer Per Kirkeby aufzeigt. Während der größere Teil der Arbeit Ton in Ton changierend eine gedämpfte Stimmung suggeriert, hält der wolkenlose Himmel in leuchtendem Blau dagegen.
Zur Farbigkeit sagt der Künstler, dass sie als Träger von Stimmungen sein wichtigstes Werkzeug ist. „Aus ihr und in sie fließt meine gesamte Inspiration, und daher möchte ich im Grunde alle meine Absichten, Ideen und Theorien von ihr fernhalten.“(1) Widmen wir uns also weiter der Form und dem Inhalt – als Träger jener besonderen Braunschen Atmosphäre der Skurrilität mittels Ambivalenz. Instrumente dazu sind Gegensätze und radikales Kontrastieren einerseits, das Dargestellte zu übertreiben und bis zur Überspitzung zu steigern andererseits.
Die Theorie des Autors Michail Bachtin in seiner Schrift „Literatur und Karneval“ (2) beschreibt jenen Stimmungsaufbau, wenn auch mit ganz anderen Beispielen, dennoch zutreffend. Körperlichkeit und körperbezogene Vorgänge – wie Nahrungsaufnahme oder -ausscheidungen, Begattung, Körperwuchs, Altern, Krankheit, Tod ect. (3) – eignen sich in besonderem Maße für bizarre Darstellungen. Und kommt hier der Prozess des Überschreitens und der Überspitzung hinzu, ist das an sich bereits grotesk. Größenverschiebung, Metamorphose, Durchdringung und fruchtbares Überwuchern sind nur einige der Begriffe, die einem beim Betrachten von Lutz Brauns Arbeiten in den Sinn kommen.
Als übergeordneter Begriff könnte jedoch Wandlung gelten. Die Grenzen eines abstrakt verstandenen Körpers sind aufgehoben und damit ist „das Groteske (…) auch niemals fertig, es ist ein Werdendes, im steten Aufbau und Erschaffen begriffen mit autonomem Eigenleben.“(4)
So ist auch der Tod in seinen vielfältigen Erscheinungsformen allgegenwärtig. Die Landschaften sind nicht mehr nur marode, Figuren haben Totenschädeln ähnelnde Züge anstelle von individuellen Physiognomien. Verwesende, schemenhafte Gestalten und Tiere tauchen auf, Stadtszenerien wirken heruntergekommen und verlassen.
Dabei wäre es ein Leichtes, die offensichtliche Affinität des Künstlers zum Tod ausschließlich negativ zu konnotieren. Geht es aber nicht um eine weitaus vielschichtige Erzählung als nur um die vom Ende? Existiert da nicht auch eine (Vor-)Geschichte? Allen Arbeiten von Lutz Braun ist ein erzählerischer, bühnenhafter Charakter zu eigen. Seine Szenerien wirken wie Filmstills.
Neben Anklängen zu Szenarien des Horrorfilms gibt es auch solche zur Tradition des Comicstrips. Eine Momentaufnahme fungiert dabei als repräsentativer Ausschnitt aus einer übergeordneten Handlung. In diesem Sinne reiht sich der Künstler, kunsthistorisch gesehen, auch in eine Tradition ein, die unter anderen William Hogarth zu ihren Vertretern zählt.
„Eine Geschichte wird erzählt“ – genau deshalb arbeitet Lutz Braun auch häufig mit Fundstücken. Alte Holzplanken und ausrangierte Teppiche dienen als Malgründe, neben dem klassischen Medium der Leinwand. Dabei geht es jedoch nicht um den Gedanken des Recycelns, sondern darum, mit Vorhandenem zurechtzukommen, die jeweilige Geschichte eines Gegenstandes zu verstehen und künstlerisch nutzbar zu machen, mit der eigenen Inspiration untrennbar zu verschmelzen. Vergangenheit spielt eine Rolle – als Ereignis oder atmosphärisch als Erinnerung – und verbindet sich mit Gegenwart und Zukunft, gleichwertig im Verhältnis zueinander.
Lutz Braun strebt danach, die Zeit in seinen Werken aufzuheben, sie als Gleichzeitigkeit aufzufassen und wiederzugeben. Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass er seine Werke nicht datiert. Er möchte sie von überkommenen kulturellen Fesseln befreien, sodass sie sich ihre Verbindlichkeiten durch ihr ‘in-der-Welt-sein‘ aneignen können. Sieht der Betrachter also etwas Reales oder einen Traum, ein Hirngespinst, gar eine Utopie? All das ist möglich, vom einzelnen Aspekt des Wirklichen bis hin zur Mischung ohne Grenzen – im Streben des Künstlers, die Allgegenwart der Endlichkeit zu unterminieren, außer Kraft zu setzen. In den Werken von Lutz Braun soll die existenzielle Angst‚ ‘Die Krankheit zum Tode‘ (4) durch Verwandlung überwunden werden. Möge der Betrachter so zu einer inneren Freiheit der Gedanken kommen(5), da der Untergang des Alten die Möglichkeit zum Neuen in sich birgt.
(1) Lutz Braun. (2) Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachtheorie. [Übers. von Angela Hauserner]. Frankfurt a.M. 1985. (3) Vgl. Ebd., S. 17. (4) Ebd., S. 16. (5) Kierkegaard, Soren: Die Krankheit zum Tode, Rowohlt, München 1969.
Vita
1976
Lutz Braun wird in Schleswig in Norddeutschland geboren
(er lebt und arbeitet in Berlin)
1998—2003
Städelschule in Frankfurt am Main (Per Kirkeby, Thomas Bayrle)
2010
Atelierstipendium der Lenikus Stiftung, Wien
2011
Artist in Residency, Centro Cultural de Andratx, Mallorca
Selected Solo Shows
2023
Sinnlich Menschliche Tätigkeit – Galerie Nagel Traxler, Berlin
2021
Arbeiten auf Papier – Jahn und Jahn, München
Die übernatürliche Eigenschaft der Dinge – Galerie Nagel Draxler, Berlin
2020
"Wer sich davonläuft, läuft sich hinterher" – SP2, Berlin
2019
Im Licht der gehemmten und geleugneten Möglichkeiten – Jahn und Jahn, München
Post Ghost – Galerie Galerie Sima, Nürnberg
2018
Queen of Siam – Rotten Bar, Karlsruhe
Wizard of Worry – Galerie Thierry Marlat, Paris
New Positions, Art Cologne, Köln
Passing Motorist – Galerie Jacky Strenz, Frankfurt am Main
2016
Spuk ist die Absicht – Galerie Jahn Baaderstrasse, München
Rat Park – Galerie Nagel & Draxler, Köln
2014
Les Feulies – Galerie Sandra Bürgel, München
Phobismus, mit Isabelle Fein – Galerie Goldnes, Bogen/Niederbayern
2013
Die Zukunft liegt in Ruinen – Galerie Jahn Baaderstraße, München
Teenagerweisheit (mit Alexander Ruthner) – Wiener Art Foundation/Büro Weltausstellung, Wien
Kunst von der Erde (with Ioan Grosu) – Kunstraum, München
Memento Mio – Galerie Nagel Draxler, Berlin
2012
Mercy for Objects (mit Isabelle Fein) – Terminal Projects, New York
Der Tod ist eine Geisteskrankheit – ACME, Los Angeles
2 Vögel (mit Ioan Grosu) – Phoenix-BB, Berlin
2010
Lichtjahre – Galerie Christian Nagel, Berlin
2009
Sternendreck – Waggon am Kulturgleis, Offenbach am Main
Abstrakter Realismus – Blanket Gallery, Vancouver
Corpse Telefon with Michael Moos – After The Butcher, Berlin
2008
L’air solaire – Galerie Christian Nagel, Berlin
2007
La nuit des zozos curated by Yves Brochard – Random Gallery Air de Paris / Praz-Delavallade, Paris
2006
Symetrie der Dummheit – Galerie Christian Nagel, Köln
Kloten Flynn (mit Kai Althoff) – Berlin Biennale, Berlin
2005
Solo für eine befallene Trompete (mit Kai Althoff) – ACME, Los Angeles
Lutz Braun & Bernadette Mittrup – Galerie Christian Nagel, Berlin
Sad, not Sorry – Galerie Antik, Berlin
Kirchliche Kunst der Neuzeit – Galerie Antik, Berlin
Kir Royal Carlos Depot – Schickeria Bar, Berlin
2004
Milchlein Schälch (mit Christina Morhardt) – Austellungsort Restitution, Berlin
Der Tod ist durch die Begrifflichkeit gegeben – Galerie Antik, Berlin
Verwesung ohne Mitwirkung der Zeit – Galerie Antik, Berlin
2003
Die Schande der Freiheit – Autocenter Berlin, Berlin
Büffelhummel – Galerie Antik, Berlin
Nach Köln (mit Christina Morhardt) – Atelier Giovanna Sarti, Frankfurt am Main
2002
Endlich Allein – Lola Montez, Frankfurt am Main
Dornwald – Menschenraum, Berlin
1999
Das Grüne im Menschen – Ponyhof, Offenbach
Psychomauer – Rotari, Offenbach
Selected Group Shows
2020
Followed by Ourselves (mit Sara Milio und Laure Prouvost) – Tilde, Amsterdam
Forget (Part II: Don’t Forget Your Mask) – Jahn und Jahn, München
2019
Die Zukunft der SPD, kuratiert von Hans-Jürgen Hafner und Gunter Reski – Zwinger Galerie, Berlin
Bright Light, kuratiert von Domenico de Chirico – Gussglashalle, Berlin
2018
Bis hierher lief noch ganz gut – Zwischenwelt, Berlin
mi chiedo se c'è un posto in questo mondo... – KM, Berlin
40+10+1 – Jahn und Jahn, München
Braun Bells – Zwischenwelt, Berlin
Romantik – Kunsthalle Schlieren, Zürich/Schlieren
2017
Hütti (kuratiert von Ben Schumacher und Veit Kurz) – Ludlow 38 , New York City
Es geht voran (zusammengestellt von Dominik Eggermann) – Galerie Sandra Bruegel, Berlin
Welche Zeit, sagte sie, dachte er – Kunstverein Wilhelmshöhe, Ettlingen
2016
Jeder sollte in der Lage sein, Kunst zu erwerben – Provinz @ Kunst Kunsthalle Recklinghausen, Recklinghausen
Wendezeiten – CCA Andratx, Mallorca
Global Terror – Nagel Draxler Kabinett, Berlin
Lutz Braun + Isabelle Fein – Center, Berlin
Der Zeit angemessen begegnen – Kunstverein Oldenburg, Oldenburg
Obsessions in Drawings / Zeichnerische Obsession – Schönwald Fine Arts, Düsseldorf
2015
oblique strategies – Nationalmuseum Urbanstrasse, Berlin
Gastspiel – Schönewald Fine Arts, Düsseldorf
2014
O.N.P.A.P.E.R. – Galerie Fred Jahn, München
Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen III – Galerie Jahn Baaderstraße, München
Den Wald vor lauter Künstlern – Illegales Museum, Berlin
Black Market – Lehrter Siebzehn, Berlin
2013
Painting Forever! – KW Institute for Contemporary Art, Berlin
Die Blendung – Galerie Sandra Brüssel, Berlin
Imaginäre Lösungen - in diesem Sinne I. Ein pataphysisches Spektakel – Kosmetiksalon Babette, Berlin
Ex-Fullmoon – Centro Cultural de Andratx, Mallorca
Dawn of the hermetics – Kosmetiksalon Babette, Berlin
2012
Arbeiten auf Papier (kuraiert von Matthias Jahn und Felicitas Kirgis) – Galerie Fred Jahn, München
About face – ACME, Los Angeles
Bilderladen Dumont-Carré – Galerie Christian Nagel, Köln
leben, schweben, beben – Galerie Jacky Strenz, Frankfurt am Main
Lutz Braun, Andreas Dielenbach, Hans-Jörg Mayer, Henning Strassburger – Galerie Feinbach & Minninger und Galerie Christian Nagel, Köln
Feierabend – Reception, Berlin
2011
Der Abstrakte Realismus – Galerie Jahn Baaderstrasse, München
Works on paper – ACME, Los Angeles
The Cannibal’s Muse II – Autocenter on location / Based in Berlin, Berlin
The raising of Lazarus – Fabrikgebäude Urbanstraße, Berlin
Alptraum Tours to Berlin – Projektraum Deutscher Künstlerbund e.V., Berlin
La Vallée Patibulaire – Rote Insel- ehem. Schlachterei, Berlin
Captain Pamphile - Ein Bildroman in Stücken – Sammlung Falckenberg, Hamburg
Augusts Llen – Hotel Intercontinental, Wien
The Black Goddness – Autocenter, Wien
2010
Demolition Milk II – KIT-Kunst-im-Tunnel, Düssedorf
Paradise Lost. Holidays in Hell – CCA Andratx, Mallorca
Captain Pamphile - Ein Bildroman in Stücken – Städtische Galerie Waldkraiburg, Waldkraiburg
2009
Là-Bas – Galerie Crèvecoeur, Paris
Until the End of the World – AMP, Athen
Crotla Presents – lothringer13/laden, München
2008
L'Arrière-Salle De Notre Esprit – Showroom, Berlin
Die große Weltverschwörung – Koloniestr. 13, Berlin
5000 Jahre Moderne Kunst. Painting, Smoking, Eating – Galerien der Stadt Esslingen am Neckar, Villa Merkel und Bahnwärterhaus, Esslingen
2007
Bonjour Monsieur – Ensor Gmür, Berlin
Palisadenparenchym – Danese, New York
Unsere Affekte fliegen aus dem Bereich der menschlichen Wirklichkeit heraus – Galerie Sandra Bürgel, Berlin
2006
Nach dem Beischlaf ist die Seele traurig (mit Thomas Schroeren, Klaus Winichner) – CourtYard Gallery Annex, Peking
Contragolp – Karl Marx Allee 87, Berlin
Von Mäusen und Menschen – 4th Berlin Biennale, Berlin
Bonanza Jack – Tilton Gallery, New York
2005
Kirchliche Kunst der Neuzeit – Galerie Antik, Berlin
Kir Royal – Carlos Depot, Berlin
Bauer, Braun, Koch Reinhardt ... – Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin
2004
Gasthof zur Hundsrute – Galerie Antik, Berlin
GASAG-Kunstpreis 2004 – Kunstfabrik am Flutgraben, Berlin
Olivia Berckemeyer - FROHE ZUKUNFT – Halle für Kunst Lüneburg, Lüneburg
2003
Die Falltür zur armen Welt – Speicher Mühlenstrasse, Berlin
absolvenz2 – Das Städel, Frankfurt am Main