































Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, Lissabon, 2023
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, Lissabon, 2023
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, Lissabon, 2023
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Opening: Donnerstag, 28. September 2023, 18–22 Uhr
Von der Girlande zu den Lições de Treva Einige Anmerkungen
Die Ausstellung mit höchst unterschiedlichen Werken von Rui Chafes und Olaf Metzel hat offenbar eine Vorgeschichte, die vielleicht erklärt, warum sich diese beiden so unvergleichlichen Künstler seit langem gegenseitig schätzen und nun erstmals mit gemeinsam ausgewählten Arbeiten an die Öffentlichkeit treten.
Lissabon war 1994 Kulturhauptstadt Europas und bei dieser Gelegenheit haben sich beide kennen gelernt, trotz der Altersdifferenz von immerhin 14 Jahren und ihrer sehr verschiedenen Interessen und ästhetischen Einstellungen. Hinzu kam außerdem die Tatsache, dass Metzel bereits seit den 1980er Jahren durch eine Reihe von monographischen Projekten und Ausstellungsbeteiligungen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch weit über deren Grenzen hinaus bekannt geworden war, während Chafes erst ein Jahr zuvor sein Studium bei Gerhard Merz an der Düsseldorfer Kunstakademie abgeschlossen hatte. Während dieser Zeit im Rheinland hatte er Deutsch gelernt, was es ihm ermöglichte, die Fragmente von Novalis, die ihn außerordentlich fasziniert und nachhaltig beeindruckt hatten, erstmals ins Portugiesische zu übersetzten. Die äußerst intensive und vor allem fruchtbare Auseinandersetzung mit der romantischen Gedankenwelt sollte für die ästhetischen Vorstellungen von Chafes von großer Bedeutung sein.
Für sein damaliges Projekt in Lissabon hatte Metzel einen Vorschlag gemacht, der noch heute verblüfft. Die in der Ausstellung gezeigten Skizzen lassen das Provokante seines Entwurfs ohne weiteres erkennen. Der Arco da Rua Augusta ist ein beeindruckender Triumphbogen, der die Straße mit der Praça do Comércio verbindet. Bald nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 geplant, konnte dieses Symbol des portugiesischen Nationalstolzes erst mit großer Verzögerung im 19. Jahrhundert realisiert werden. Die barocke Ornamentik mit der üppigen Figur der Gloria an der Spitze lässt immerhin genügend Raum für die vier großen Skulpturen berühmter Persönlichkeiten wie u. a. Vasco da Gama, der den Seeweg nach Indien entdeckte, oder Marquês de Pombal, dem der Wiederaufbau Lissabons ganz wesentlich zu verdanken war. Ihre Gestalten wenden sich dem großen Platz zu, der sich zum Tejo öffnet und in dessen Mitte sich die Reiterstatue Josés I aus dem 18. Jahrhundert befindet.
Metzel hat sich auf die Rückseite dieser pompösen Inszenierung besonderer Ereignisse der portugiesischen Geschichte konzentriert und seinen Vorschlag mit Girlande betitelt. Reproduktionen historischer Pläne wurden von ihm bearbeitet und durch eigene Zeichnungen ergänzt. Zusammen mit einem kleinen Modell lassen die Darstellungen ohne weiteres erkennen, dass sich sein Projekt auf die rückseitige Aussichtsterrasse des Triumphbogens bezieht, die insbesondere von Touristen frequentiert wird. Nur von der Rua Augusta aus sollten in beträchtlicher Höhe zwei leicht durchhängende Seile zu erkennen sein, gehalten von jeweils zwei Pollern auf der Brüstung der Besucherebene, und zwar jeweils über den Doppelpilastern, die die große Toröffnung einfassen. Ausgeführt in Bronze, sehr schwer und grünlich patiniert, ist die Botschaft der Girlande unschwer auszumachen, die nichts mit jenen Gehängen aus skulpturalen Blüten oder Früchten zu tun haben, die auf der Schauseite des Tores zu finden sind. Für Jahrhunderte bildeten die Seefahrt und der mit ihr eng verbundene Kolonialismus die wirtschaftliche Basis Portugals. Gedoppelte Poller und starke Seile waren notwendig, um ein Schiff am Ufer zu vertäuen, eine je nach Strömung und Wetterlage harte Arbeit, die Kraft und Geschicklichkeit verlangte. Es ist die kaum beachtete, aber durchaus entbehrungsreiche und leicht zu übersehende Kehrseite der wie auch immer einträglichen Schifffahrt. Metzel hat das mit seinem durchaus ironisch zu verstehenden Vorschlag anschaulich gemacht und dem Triumphtor mit seinen historischen Gestalten eine andere, nachdenklich stimmende und kritische Ebene hinzugefügt, indem er mit der Girlande an die vielen namenlosen Seeleute erinnert. Diese Botschaft hat man 1994 verstanden, so dass das Projekt realisiert wurde und inzwischen offenbar auch bei Hobbymalern, Karikaturisten und Touristen viel Anklang findet.
Einige andere Werke der Ausstellung nehmen durchaus Bezug auf die Girlande. Von Metzel stammen Knoten, Zöpfe und Strickmodell, während Sombra dourada, I–III von Rui Chafes, nur sehr vage formale Korrespondenzen aufweisen. Das gilt in gleicher Weise für Durch mein Blut, IV, V, VI und Nada é aqui, I und II. Dass Metzel das Handwerk eines traditionell ausgebildeten Bildhauers beherrscht, lässt sich an der Porträtbüste von Turkish Delight ablesen. Die geschlossene, kompakte Form findet ein Äquivalent in Fina camada de gelo, I und II von Chafes.
Ähnliches ließe sich auch bei einer Gegenüberstellung von Lições de trevas IX, XII von Chafes und der Sammelstelle von Metzel beobachten. Es sind lediglich formale Analogien, die nicht darüber hinweg täuschen können, dass sich beide Künstler grundsätzlich anders positioniert haben. Diese Diskrepanz wird in der Ausstellung durch verschiedene Arbeiten unübersehbar. Baise moi von Metzel entstand 2019 und bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von Virginie Despentes, der 1994 erschien und sechs Jahre später verfilmt wurde. Beschrieben und dargestellt ist die Geschichte einer jungen, sozial und ökonomisch marginalisierten Frau, die vergewaltigt wird, sich dann aber mit einer Freundin auf brutalste Weise am männlichen Geschlecht rächt. Metzels große, wandfüllende Collage macht das motivisch und formal nachvollziehbar, ohne allzu deutlich zu werden. Auch die beiden Schriftbilder kaputt offenbaren sehr direkt den großen Abstand zwischen Metzel und Chafes. Curzio Malapartes epochales Antikriegsbuch, ein monströses Panorama der Progrome und Partisanenkämpfe, erschien 1944 und wurde sofort ein sehr großer Erfolg. 2020 ganz lapidar an dieses Werk zu erinnern, wirkt wie eine Vorahnung des zwei Jahre später erfolgten Überfalls Putins auf die Ukraine.
Rekapituliert man die vielen Ausstellungen, die Olaf Metzel in aufgelassenen Räumen, Galerien, Museen oder in Straßen und auf öffentlichen Plätzen seit Beginn der 1980er Jahren realisiert hat, dann meinte man, wie Wieland Schmied es 1995 ausdrückte, auf „Relikte eines Kampfes“ zu schauen, denn oberflächlich betrachtet könne man den Künstler für einen Berserker halten, der nichts anderes im Sinn habe, als zu demaskieren, zu deformieren und zu demolieren. Unter solchen Prämissen wurde daher für lange Zeit auch die Skulptur 13.4.1981 kontrovers eingeschätzt. 1987 realisiert, wurde sie im selben Jahr auf dem Berliner Skulpturenboulevard öffentlich gezeigt, den man aus Anlass der 750Jahrfeier der Stadt organisierte. Gleichsam als Signet vieler anderer Arbeiten Metzels löste 13.4.1981 teilweise heftige und überwiegend negative Reaktionen aus. 13.4.1981 ist letztlich eine große Montage oder Collage, gefertigt aus dem (wie Metzel selbst formulierte) „kompletten Warenkatalog der Alltagsästhetik, unhierarchisch und lakonisch“ und verbunden mit der gesellschaftlichen Situation. Sein Verfahren zu schichten, aufzutürmen und zu stapeln ist jedoch nicht nur als Reverenz gegenüber Dadaisten, Surrealisten oder Decollagisten zu verstehen und weist auch kaum Parallelen zu Fluxus und Nouveau Réalisme auf.
Überblickt man Metzels bis jetzt entstandenes Oeuvre, dann hat man nicht den Eindruck, man habe es durchweg mit den Relikten eines Wüterichs zu tun. Die Arbeit 112:104 besteht beispielsweise aus den anscheinend wahllos aufgeschichteten Trümmern eines Basketballfeldes, vielleicht das erschreckende Resultat der Demolierung und Zerstörung, verursacht womöglich durch die rüpelhaften Anhänger der Mannschaft, die das Spiel verloren hat. Schaut man genauer hin, dann erkennt man, dass die Defunktionalisierung und Zerstörung der Gegenstände die Arbeit in ein ganz bewusst austariertes Zeichen verwandelt hat. Und dieses Zeichen verweist indirekt, so W. M. Faust, auf das Eismeer von Caspar David Friedrich von 1821/4, das auch unter dem Namen Die gescheiterte Hoffnung bekannt ist. Andere Interpreten fühlen sich an das 1818/9 entstandene Floss der Medusa von Géricault erinnert. Soweit man es heute zu registrieren vermag, spielen fast alle Arbeiten Metzels auf die Gegensätze von Demontage und Montage, von Destruktion und Konstruktion, letztlich von Realität und Kunst an. Historische, soziale und politische Fragen und Probleme grundieren alle seine Arbeiten, wenn auch fast immer so, dass der ihnen zugrunde liegende Impuls nicht unmittelbar erkennbar ist, sondern sich erst in Betrachtung und Reflexion erschließt.
Rui Chafes verwendet als Bildhauer fast ausschließlich Eisen und setzt damit eine große iberische Tradition fort. Hohes Gewicht und enorme Widerstandskraft gegen Druck und Zug treten aber in seinen variationsreichen und schwarz patinierten Skulpturen nicht unmittelbar in Erscheinung. Auch das Spröde, geradezu Urtümliche bleiben ausgeblendet. Die Bearbeitungsspuren der Bleche und Stäbe, Bänder und Röhren sind weitgehend getilgt. Leichthändig werden herkömmliche Vorstellungen vom Charakter der Eisenskulptur überspielt. Die makellosen Oberflächen in mattem Schwarz scheinen die befremdlich und zugleich faszinierend anmutenden Gebilde zu entstofflichen. Die Spannweite seiner Werke reicht von kompakten Formen zu filigranen Netzen und Schleiern. Etliche Arbeiten von Chafes erscheinen gleichsam wie rätselhafte Gebilde aus Schatten, hin und wieder auch wie in den Raum entfaltete Scherenschnitte. Vor allem der Umstand, dass manche Werke an Mauern oder in Bäumen hängen oder in der Luft zu schweben scheinen, verleiht ihnen den Charakter potentieller Beweglichkeit oder ephemerer Volatilität. Es sind rätselhafte, häufig gewichtige, dann aber auch scheinbar dahingleitende Objekte, die trotz ihres artifiziellen Charakters eine Anmutung von entschwundener Lebendigkeit evozieren. Wir haben es durchweg mit Gebilden zu tun, deren Metaphorik die starre Dinglichkeit der Skulpturen unterläuft, so dass ihre jeweilige Gestalt vieldeutig erscheint und sich eben nicht in reiner Anschaulichkeit erschöpft. Das Oszillieren zwischen Verfremdung und Abstraktion, zwischen biomorphen Motiven und rationalen Ordnungsprinzipien führt dazu, dass zwar das Gegenständliche der Skulpturen betont wird, d. h. ihre Faktizität, dass aber andererseits ihre physische Erscheinung alles Konsistente und Eindeutige mehr oder weniger einbüßt. Es ist nicht zuletzt dieses Paradox, das seinen Plastiken einen ganz besonderen und nicht verwechselbaren Stellenwert in der zeitgenössischen Kunst verleiht. Das Rätselhafte erscheint bei ihm wie selbstverständlich und das offenbar Landläufige gewinnt, je länger man es betrachtet, geradezu enigmatische Züge und eine gleichsam magische Dimension. Durch ihre auratische Erscheinung verweisen die dunklen Strukturen unmissverständlich auf eine Sphäre jenseits von Pragmatismus, Ökonomie und Funktionalismus, d. h. auf einen Bereich außerhalb von Zweckrationalität und instrumenteller Vernunft. Etliche Plastiken, schwankend zwischen beeindruckender physischer Präsenz und subkutaner Rätselhaftigkeit, suggerieren eine Gegenwelt zu allem, was der Fall ist, und evozieren damit ganz unaufdringlich jene beunruhigenden Ahnungen von Verlust, Trauer und manchmal auch Todesfurcht. Nahegelegt wird nicht der Blick auf eine Vergangenheit von ästhetischen Verbindlichkeiten und ethischen Wertvorstellungen, sondern der Blick des Künstlers geht anscheinend hinaus über den Horizont einer beengten, oft eindimensionalen Lebenswelt. Was seinem Œuvre darüber hinaus einen herausragenden Status sichert, ist die eminente Qualität seiner Werke. Kennzeichnend für viele seiner Werke ist darüber hinaus ihre Positionierung in einem spezifischen architektonischen Umfeld. Das zeigte sich höchst eindrucksvoll, als er 2013 verschiedene seiner Skulpuren in einigen Sassi di Matera (den erhaltenen Höhlenwohnungen der Altsteinzeit, einem Weltkulturerbe) installierte, aber auch als er 2018 verschiedene seiner Werke auf Straßen und Plätzen in Bamberg und der landschaftlichen Umgebung der Stadt aufstellte beziehungsweise aufhängte.
Metzel behauptet auf eindrucksvolle und überzeugende Weise die Gegenposition. Wahrnehmbar wird das nicht zuletzt an jenen Werken, die er für den öffentlichen Raum geschaffen hat und die durchweg sehr lebhaft und kontrovers diskutiert wurden. Die Arbeiten von Rui Chafes sind hingegen durch eine programmatische Abkoppelung vom Alltag geprägt und von einer nicht weniger dezidierten Behauptung der Eigenwertigkeit von Kunst durchdrungen. Seine überaus spannende und fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Œuvre von Riemenschneider einerseits und Giacometti andererseits hat das sehr deutlich gemacht. Olaf Metzel ist hingegen völlig anders ausgerichtet, aber seine Interessen sind ähnlich weit gespannt, wenn er sich einerseits für den Architekten und Bildhauer Francesco di Giorgio Martini (1439–1501) begeistert und andererseits mit der Bézierkurve arbeitet. Dabei handelt es sich um eine parametrisch modellierte Kurve, die ein wichtiges Werkzeug bei der Beschreibung von Freiformkurven und Freiformflächen darstellt. Bei aller gegenseitigen Wertschätzung und Freundschaft, die Distanz ihrer jeweiligen Vorstellungswelten und Überzeugungen, die sich in ihren Werken manifestiert, könnte kaum größer sein.
Armin Zweite