Nur schemenhaft und wie durch einen Nebelfilter zeichnet sich eine städtische Silhouette auf der Leinwand ab: Still und kontemplativ wirkt das unbetitelte Werk von 1970, in dem sich Rudi Tröger auf eine helle Farbpalette beschränkt. Sowohl das zarte, fein abgestufte Kolorit als auch die flächige Gestaltung erfordern ein genaueres Betrachten, um das lichte Motiv zu identifizieren und winterliche Dächer zu erahnen. Die kompositorische Rahmung des Werks deutet darauf hin, dass der Künstler seinen Blick aus dem Fenster eingefangen hat: ein symbolträchtiges Motiv, das in der Kunstgeschichte von Caspar David Friedrich bis Marcel Duchamp vielfach aufgegriffen wurde. Als Bindeglied zwischen Innen und Außen beschreibt es einen Ort des Übergangs, eine Schnittstelle zwischen Mensch, Kultur und Natur, zwischen einem geschlossenen und einem offenen Raum. Nicht zuletzt lädt Leon Battista Albertis Metapher des Bildes als offenes Fenster zur Welt zu einem Diskurs über Malerei selbst ein, bei dem Fragen der Perspektive und Raumkonstruktion, aber auch des Sehens und der Wahrnehmung zum Tragen kommen.
„Schwellensituationen“ zeigen auch die Malereien und Aquarelle von Julius Heinemann, in denen wiederholt Fensterstrukturen, Rahmungen, Begrenzungen und Öffnungen sichtbar werden. Titel wie Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt (2020) oder Der Zwischenraum (2019) sind gleichermaßen Ausdruck eines transitorischen, ephemeren Moments. Architektonische Fragmente und Raumstrukturen fügen sich mit singulären Setzungen zu subtilen Kompositionen zusammen. Während Heinemann einzelne Details ausarbeitet, belässt er andere Stellen – in Referenz an den das Werk umgebenen White Cube – leer. Bildräume werden nur angedeutet, Spuren teilweise verwischt oder überlagert. Dabei nutzt Heinemann die Eigenheiten unterschiedlicher Utensilien wie Acryl, Sprühfarbe, Graphit oder Wachskreide, um die von ihm intendierte Wirkung zu erzielen: ob als präzise Linie oder diffuse Fläche. Die zwischen Realität und Fiktion, Konkretem und Abstraktem oszillierenden Werke sind oftmals auf die Nichtfarben Schwarz und Weiß mit ihren Grauabstufungen reduziert, wodurch das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine besondere Gewichtung erhält. Gleichzeitig erzeugt Heinemann durch markante Farbakzente spannungsreiche Kontraste. Es erschließen sich neue Blickfelder und Perspektiven, die sich im Kopf der Betrachtenden zu eigenen Bildideen formieren. Neben der Wahrnehmung von Raum und Zeit beschäftigt sich der Künstler vor allem mit der Dekonstruktion gesellschaftspolitischer Kontexte.
Während Heinemann seine Reflexion über Malerei, Struktur und Raum in Installationen fortführt, um neue Sichtweisen zu kreieren, fokussiert sich Tröger auf das zweidimensionale Format. Klassisch in Malerei ausgebildet, wird sein Werk – je nach Phase – beispielsweise in Bezug auf mögliche Referenzen an Paul Cézanne, Paul Klee, die Impressionisten oder Jean Dubuffet befragt. Tatsächlich kann dies immer nur als Ausgangspunkt verstanden werden, hat Tröger doch eine eigene, davon losgelöste Bildsprache entwickelt, mittels derer er seine Vorstellung von Farbe, Form, Oberfläche, Raum und Linie realisiert. Anders als in seinen pastosen Malereien, die mit dichten Linienknäueln überzogen sind, spiegeln die in der Ausstellung gezeigten Werke der späten 1960er- und 1970er-Jahre eine Tendenz zu glatten, lasierenden Flächenstrukturen wider. Landschaften in frischem grün-blauem Kolorit, in Gelbtönen gehaltene Aktdarstellungen oder helle sowie dunkle Blumenstillleben, in denen Tröger die Perspektive negiert und Konturen bewusst auflöst, veranschaulichen seine licht- und farbtechnische Virtuosität. Immer wieder lenkt Tröger dabei den Blick durch das Fenster, um den Prozess des Sehens und dadurch das visuelle Erlebnis zu intensivieren, so wie auch Heinemann neue Erfahrungsräume kreiert. Obgleich sie mehrere Generationen voneinander trennen und ihre jeweilige künstlerische Prägung eine andere ist, treten diese zwei Positionen in einen Dialog miteinander: ganz leise und unaufdringlich.
Julius Heinemann (geb. 1984 in München, lebt und arbeitet in Berlin) studierte Fotografie an der Folkwang Universität der Künste, Essen, sowie an der HGB Leipzig, bevor er sich am Royal College of Art in London intensiv mit Bildhauerei befasste. Verschiedene Künstlerresidenzen führten ihn nach São Paulo, Maastricht, Calasetta oder Mexico-Stadt. Darüber hinaus hat Heinemann sein Werk international präsentiert, unter anderem in Amsterdam, Antwerpen, Zürich oder Bogotá. In diesem Jahr zeigte das Forum Kunst Rottweil eine Soloschau des Künstlers.
Rudi Tröger (geb. 1929 in Marktleuthen, lebt in Markt Indersdorf) absolvierte von 1949 bis 1957 ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er ab 1967 eine 25-jährige Lehrtätigkeit wahrnahm. Tröger wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Kulturpreis Bayern für Malerei. Mit Fred Jahn verbindet den Künstler eine langjährige Zusammenarbeit: Nach der ersten gemeinsamen Einzelausstellung 1985 folgten zahlreiche Soloschauen (mit Publikationen). Eine umfassende Monografie ist 2019 im Sieveking Verlag erschienen. Werke des Künstlers befinden sich in bedeutenden Sammlungen wie den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der Staatlichen Graphischen Sammlung und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München, in der Städtischen Galerie, Dachau, im British Museum, London, und im Art Museum, Saint Louis.