



















Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München 2024
Eröffnung am 4. Juli 2024, 18–21 Uhr
Seit mehr als vierzig Jahren behauptet sich der Maler und Zeichner Erwin Pfrang als einsamer Solitär unter den deutschen Künstlern seiner Generation. Es gibt schlichtweg keinen zweiten, der sich mit ihm vergleichen ließe. Eine imaginäre Traditionslinie – etwa von George Grosz über Renato Guttuso bis hin zu Lucian Freud – mag gewisse historische Affinitäten beleuchten, aber wer in der gegenwärtigen Welt der Kunst wagt es, in vergleichbar „fanatischer“ Malweise derart „realistische“ Figurentableaus in Szene zu setzen, welche ein ikonographisches Vokabular der aberwitzigsten Art mit hoher Dringlichkeit vor Augen führen? Schon früh – während seiner 1979 beendeten Akademiezeit in München – hat Pfrang erklärtermaßen danach gestrebt, „nicht dazuzugehören“ und in dieser selbstgewählten Rolle des anachronistischen Einsiedlers hat er über die Jahrzehnte sein Leben geführt und sein Werk geschaffen.
Pfrangs bildnerische Produktivität – sei es was die Gemälde, aber auch was seine Arbeiten auf Papier betrifft – ist unvermindert intensiv. Gerade seit den letzten zwei Jahren ist neben den Malereien wieder eine Fülle an Zeichnungen entstanden, darunter eindringliche Bildnisse kleineren und mittleren Formats sowie überraschende, bildhaft große Blätter, die ein wahrer Kosmos figürlicher wie animalischer Natur im Verbund mit zeichenhaft-kalligraphischen Elementen bevölkert. Der Künstler arbeitet hier überwiegend mit den herkömmlichen Medien Kohle, Tusche und teilweise auch Aquarell, wobei zuweilen über Gips lavierte Partien mit Hilfe eines großen japanischen Pinsels entstanden, wie er auch in der japanischen Kalligraphie Verwendung findet. Noch immer gilt, was Pfrang 1997 zur genuinen Materialität der Zeichnung bemerkte: „Es ist wahr, die Zeichnung spricht, aber noch während man zeichnet, zergeht einem, was sie spricht, wieder auf der Zunge, taucht wieder ab ins Schweigen ihrer Stofflichkeit…ein Vorgang wie das Ausschmelzen einer Glasur über dem festen Körper des Scherbens“. [1]
Pfrangs Bildinhalte sind nur schwer aufzuschlüsseln. „Meine Bilder deuten nichts, erwarten aber andererseits vom Betrachter-Leser dieselbe Höflichkeit: Nicht gedeutet zu werden.“ [2] In überwiegend figurenreichen Szenerien mischt sich Gesehenes oder Erlebtes mit Tagträumen, mit fernen Begebenheiten oder Erinnerungen, mit dem Unterbewussten, dem lange Verschütteten. Dies alles scheint ungefiltert und nicht vorhersehbar zusammenzutreffen, wobei manches sich rücksichtslos Bahn bricht im unendlichen Gewirr der Gedankenfäden. Als wesenhaft ist die Nähe Pfrangs zu einem Künstler wie Antonin Artaud zu bezeichnen, der gleichermaßen auf Giacometti und Wols, wie auf Fautrier und Dubuffet befruchtend wirkte. Artaud wollte seine Arbeiten auf Papier in ihrer untrennbaren Verbindung von Geschriebenem und Gezeichnetem durchaus nicht als „Kunstwerke“ betrachtet haben, sondern als tagebuchartige „Skizzen“: „auslotende oder ausfällige Vorstöße in alle Richtungen des Zufalls, der Möglichkeit, der Chance und des Schicksals…in der Wildheit und der Verwirrung ihrer Handschrift“. [3]
In seiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Dichter James Joyce, etwa in den seit 1988 entstandenen Zyklen zu „Ulysses“ oder „Dubliners“ hat es Pfrang vermocht, jeglichem Anschein von Literatur-Illustration entgegenzuwirken. Die sprachliche Struktur der Dichtungen von Joyce hat den manischen Zeichner geradezu getrieben, einen bildnerischen Fabulierstrom zu „konstruieren“, in welchem sich die divergierendsten Elemente simultan überlagern. Besonders Pfrangs jüngst entstandene, großformatige Gemälde leben aus ebendieser Spannung, dem nie versiegenden gegenständlichen Reservoir seiner bildnerischen Phantasie ein gewissermaßen „abstraktes“ System zu unterlegen, das auch noch so labyrinthische Bilderrätsel mit ihren in den ungewöhnlichsten Raumperspektiven dicht verwobenen Mikrokosmen zu strukturieren vermag. Dem hier entfachten „Delirium“ vermag Pfrang mit seinem hellwachen bildnerischen Instinkt, seinem „bauenden“ Geist im Verbund mit seiner eminenten koloristischen Empfindsamkeit immer wieder von neuem gebändigte Form zu verleihen.
Michael Semff
[1] Erwin Pfrang, Brief an Michael Semff vom 17.12.1997.
[2] Erwin Pfrang, „Entwurf einer Rede am 3. Juli“ in: Erwin Pfrang. Illustrationen zu James Joyce Dubliners, Center for Advanced Studies, LMU, München 2013, S.4.
[3] Antonin Artaud, „Le visage humain“ in: Portraits et dessins par Antonin Artaud, Ausst.-kat. Galerie Pierre, Paris 1947, o.S.
Bibliographie: Erwin Pfrang, Fingerspitzenhorizonte. Gedichte zu Bildern, Berlin 2022, 112 S.
Carla Schulz-Hoffmann, Erwin Pfrang. Das Gedächtnis der Hand, hg. v. Jahn und Jahn, München 2021, 132 S.
Erwin Pfrang: Gedacht durch meine Augen, Ausst.-kat. Buchheim Museum, hg. v. Daniel J. Schreiber, Bernried 2019, 144 S.
Erwin Pfrang. Illustrationen zu James Joyce Dubliners, Center for Advanced Studies, LMU, München 2013. Christa-Maria Lerm Hayes, „Illustrations with a Difference“, in: Joyce in Art, Ausst.-kat. Royal Hibernian Academy, Dublin 2004, S. 63.
Lynn Gawell, „The Muse Is Within: The Psyche in the Century of Science“, in: Dreams 1900–2000. Science, Art, and the Unconscious Mind, Cornell University Press, Binghamton University Art Museum, State University of New York, 1999, S. 49–50.
Erwin Pfrang. Bilder, mit Texten von Peter Eikemeier und Carla Schulz-Hoffmann, hg.v. Fred Jahn, Ausst.-kat. Staatsgalerie moderner Kunst, München1999, 66 S.
Carroll Dunham, „Erwin Pfrang“, in: Bomb, Nr. 69, Dezember 1999, S. 94–97.
Erwin Pfrang. I0 & LUI, hg. v. David Nolan, Ausst.-kat. Nolan/Eckman Gallery, New York 1999, 39 S.
Erwin Pfrang. Arbeiten auf Papier, Odysseus und kein Ende, mit Texten von Claudia Denk, Tilman Falk und Michael Semff, 2 Bde., Ausst.- kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1998, Bd. I 71 S., Bd. II 46 S.
Alan Jones, „Erwin Pfrang“, in: 6 Personali, hg. v. Plinio de Martiis, Ausst.-kat. Castelluccio di Pienza – La Foce, Siena, 1997, S. 26–28
Roberta Smith, »Erwin Pfrang«, Rezension, Ausst. Nolan/Eckman Gallery, New York, in: The New York Times, 20. Oktober 1995, S. 27
James Joyce, Dubliner, übers. v. Harald Beck, illustr. v. Erwin Pfrang, mit einem Nachwort v. Wolfgang Hilbig, Leipzig 1994, 206 S.
Michael Kimmelmann, „James Joyce’s ‚Ulysses‘ Translated for the Eye“, Rezension, Ausst. David Nolan Gallery, in: The New York Times, 13. September 1991.
Erwin Pfrang: Circe Drawings Based on James Joyce’s ‚Ulysses‘, mit einem Text von Erwin Pfrang, Ausst.- kat David Nolan Gallery, New York 1991, 39 S.Wolfgang Holler, Zeichenkunst der Gegenwart: Sammlung Prinz Franz von Bayern, Ausst.-kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1988, S. 147–149.
Erwin Pfrang. Zeichnungen, mit einem Text v. Dieter Kuhrmann, Ausst.-kat. Galerie Fred Jahn, München 1984.
Erwin Pfrang, geb. 1951 in München, 1974–1979 Studium an der Akademie der bildenden Künste in München, 1982 Staatlicher Förderpreis des Freistaates Bayern. 1984 erste Ausstellung in der Galerie Fred Jahn in München. Bis heute wird der Künstler von Jahn und Jahn vertreten. 1987 Emigration mit seiner Familie nach Italien, lebt bis 2000 u.a. in Montepulciano und in verschiedenen Orten in der Val d’Orcia südlich von Siena in der Toskana. 1989 Kunststipendium der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 1991 Ausstellung seiner „Circe Drawings“ zu James Joyces „Ulysses“ in der David Nolan Gallery, New York. 1994 entstehen seine „Dubliner Drawings“ zu Joyces Erzählband „Dubliner“, die im Jahr darauf erneut in New York bei David Nolan ausgestellt werden. 2000–2003 Aufenthalt in Deutschland. 2003 Rückkehr nach Italien, Pfrang lässt sich in Catania auf Sizilien nieder. Seit 2011 lebt und arbeitet der Künstler in Berlin.
Werke des Künstlers befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, u.a. Albertina, Wien; Busch-Reisinger Museum (Harvard Art Museums), Cambridge, Massachusetts; Museum of Modern Art, New York; The Morgan Library & Museum, New York; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München; Staatliche Graphische Sammlung, München; Saint Louis Art Museum, Saint Louis, Missouri; Yale University Art Gallery, New Haven.
Einzelausstellungen (Auswahl): 2023 Jahn und Jahn Lissabon, Portugal; 2021 Katholische Akademie in Bayern, München; 2019 Buchheim Museum, Bernried; 2016 Axel Pairon Gallery, Knokke, Belgien; 2015, 2012, 2009, 2007, 2005, 2001, 1994, 1986 & 1984 Galerie Fred Jahn, München; 2013 Center for Advanced Studies, Ludwig-Maximilians-Universität, München; 2007 Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne, München; 2007 Università degli Studi di Catania, Centro Voltaire, Catania, IT; 2006 Daniel Weinberg Gallery, Los Angeles, USA; 2005, 2002, 1999, 1995, 1991 Nolan/Eckman Gallery, New York; 2004 Bank of Ireland Arts Centre, Dublin, Irland; 2000 The Norwood Gallery, Austin, Texas; 1999 Staatsgalerie moderner Kunst, München; 1997 Daniel Weinberg Contemporary Art, San Francisco.