Eröffnung: Donnerstag, 9. Februar 2023, 18–122 Uhr
Jahn und Jahn präsentiert die erste Einzelausstellung des Malers, Zeichners und Lyrikers Erwin Pfrang (geb. 1951 in München) in Portugal. Unter dem Titel „Blaring Silence“ vereint die Ausstellung zwanzig seiner Gemälde und Zeichnungen aus den vergangenen zwei Dekaden. Neben Werken, die seiner Schaffensphase in Catania auf Sizilien (bis 2011) zugeordnet werden können, zeigt die Ausstellung vor allem Bilder, die während der letzten zehn Jahre in seiner neuen Wirk- und Wohnstätte Berlin entstanden sind.
Unter dem Einfluss von Literatur und Musik wandte sich Pfrang früh der Kunst zu und begann als Jugendlicher im Keller des elterlichen Wohnhauses zu malen. Nach dem Studium der Malerei in München in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, gefolgt von ersten Ausstellungen und Erfolgen, entschloss er sich 1987 mit seiner Familie nach Italien zu ziehen, wo er beinahe zwanzig Jahre seines Lebens an verschiedenen Orten in selbstgewählter Zurückgezogenheit verbrachte. Die häufigen Ortswechsel lassen auf eine sein Wesen bestimmende Neugierde schließen. So speist sich Pfrangs Themenwelt neben der Literatur (insbesondere James Joyce) elementar aus Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen. Als umherziehender Beobachter verleibt er sich Leben ein, das sich in seinen Werken schonungslos entäußert. Pfrangs Bilderkosmos offenbart sein substanzielles Gespür für äußere und innere Abgründe. Dabei dringt der Künstler tief vor zu jenen Spuren und Furchen, die das Leben der menschlichen Seele einschreibt. Womöglich ist es eben jene Notwendigkeit (und Fähigkeit gleichermaßen), die der Künstler selbst im Gespräch mit „sporcarsi di vita“ umschreibt – sich mit Leben zu besudeln als ein seiner Kunst zu Grunde liegendes Prinzip, um das, was Menschsein bedeuten könnte, zumindest in erfahrbare, greifbare Nähe rücken zu lassen.
In Pfrangs Kompositionen spiegeln sich der unerträgliche Schrecken des Holocausts, Leid durch Krankheit und Tod, Einsamkeit und Isolation, Verlust, das stille Elend der gesellschaftlich Randständigen, die Kälte menschengemachter Technologie oder auch Unheil und Verderben, die durch Erdbeben und andere Katastrophen verursacht werden. Er ist ein Meister all jener Dinge, die unter der Haut gären und schwelen, ähnlich Krankheitserregern, die schließlich zum Zusammenbruch des Immunsystems führen. Pfrangs Bilder scheinen heimgesucht von schmerzlichen Erinnerungen und düsteren Vorstellungen und dennoch kristallisieren sich in ihnen vor allem auch die liebevolle Zuwendung und Einfühlsamkeit, die der Künstler der Ausformulierung der physischen Präsenz des Individuums und des menschlichen Daseins widmet. Besonders in seinen Portraits manifestiert sich Pfrangs Virtuosität, auf der Hautoberfläche jede Falte und Unebenheit so gestalten, dass Existenz in Form von Farbe auflebt.
Charakteristisch für Pfrang sind die seltsam puppenhaften Züge seiner Figuren. Anstatt miteinander zu interagieren, scheinen sie allein und stumm ganz auf sich selbst konzentriert zu sein, suchen jedoch durchaus den Kontakt mit dem Publikum außerhalb des Bildfeldes. Sie erinnern bisweilen an kleine Erwachsene mit viel zu großen Köpfen. Ähnlich Schaufensterpuppen, die wie Menschen aussehen, spielen sie verkleidet ihre Rollen und verweisen auf Lügenhaftigkeit und Lebenswirklichkeit gleichermaßen. Es sind Einzelgänger, die in ihrer Verweigerung gemeinschaftlichen Eingeschworenseins die grundsätzliche Skepsis des Künstlers gegenüber jeder Art von Gruppenzwängen, welche die Entfaltung des individuellen Geistes einschränken könnten, verkörpern. Diese eigenbrötlerischen Gefährten der Erinnerung nutzt Pfrang als Figurenpersonal für ein „Theatrum mundi“ von äußerst komplexer Doppelsinnigkeit, das in seinen feingesponnenen Bildkompositionen höchsten Ausdruck findet.
Erwin Pfrang, geb. 1951 in München, 1974–1979 Studium an der Akademie der bildenden Künste in München, 1982 Staatlicher Förderpreis des Freistaates Bayern. 1984 erste Ausstellung in der Galerie Fred Jahn in München. 1987 Emigration mit seiner Familie nach Italien, lebt bis 2000 u.a. in Montepulciano und in verschiedenen Orten in der Val d’Orcia südlich von Siena in der Toskana. 1989 Kunststipendium der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 1991 Ausstellung seiner „Circe Drawings“ zu James Joyces „Ulyssis“ in der David Nolan Gallery, New York. 1994 entstehen seine „Dubliner Drawings“ zu Joyces Erzählband „Dubliner“, die im Jahr darauf erneut in New York bei David Nolan ausgestellt werden. 2000–2003 Aufenthalt in Deutschland. 2003 Rückkehr nach Italien, Pfrang lässt sich in Catania auf Sizilien nieder. Seit 2011 lebt und arbeitet der Künstler in Berlin.
Werke des Künstlers befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, u.a. Albertina, Wien; Busch-Reisinger Museum (Harvard Art Museums), Cambridge, Massachusetts; Museum of Modern Art, New York; The Morgan Library & Museum, New York; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München; Staatliche Graphische Sammlung, München; Saint Louis Art Museum, Saint Louis, Missouri; Yale University Art Gallery, New Haven.
Einzelausstellungen (Auswahl): 2021 Katholische Akademie in Bayern, München; 2019 Buchheim Museum, Bernried; 2016; 2016 Axel Pairon Gallery, Knokke, Belgien; 2015, 2012, 2009, 2007, 2005, 2001, 1994, 1986 & 1984 Galerie Fred Jahn, München; 2013 Center for Advanced Studies, Ludwig-Maximilians-Universität, München; 2007 Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne, München; 2007 Università degli Studi di Catania, Centro Voltaire, Catania, IT; 2006 Daniel Weinberg Gallery, Los Angeles, USA; 2005, 2002, 1999, 1995, 1991 Nolan/Eckman Gallery, New York; 2004 Bank of Ireland Arts Centre, Dublin, Irland; 2000 The Norwood Gallery, Austin, Texas; 1999 Staatsgalerie moderner Kunst, München; 1997 Daniel Weinberg Contemporary Art, San Francisco.
Bibliographie
Erwin Pfrang, Fingerspitzenhorizonte. Gedichte zu Bildern, Berlin 2022, 112 S.
Carla Schulz-Hoffmann, Erwin Pfrang. Das Gedächtnis der Hand, hg. v. Jahn und Jahn, München 2021, 132 S.
Erwin Pfrang: Gedacht durch meine Augen, Ausst.-kat. Buchheim Museum, hg. v. Daniel J. Schreiber, Bernried 2019, 144 S.
Tobias Döring, „Erwin Pfrang illustriert Joyces Dubliners“ in: Erwin Pfrang. Illustrationen zu James Joyce Dubliners, Center for Advanced Studies, LMU, München 2013, S. 9–16.
Christa-Maria Lerm Hayes, „Illustrations with a Difference“, in: Joyce in Art, Ausst.-kat. Royal Hibernian Academy, Dublin 2004, S. 63.
Frank Günzel, in: Unterwegs, Ausst.-kat. Bayerische Akademie der Schönen Künste, München 2001.
Lynn Gawell, „The Muse Is Within: The Psyche in the Century of Science“, in: Dreams 1900–2000. Science, Art, and the Unconscious Mind, Cornell University Press, Binghamton University Art Museum, State University of New York, 1999, S. 49–50.
Erwin Pfrang. Bilder, mit Texten von Peter Eikemeier und Carla Schulz-Hoffmann, hg.v. Fred Jahn, Ausst.-kat. Staatsgalerie moderner Kunst, München1999, 66 S.
Carroll Dunham, „Erwin Pfrang“, in: Bomb, Nr. 69, Dezember 1999, S. 94–97.
Erwin Pfrang. I0 & LUI, hg. v. David Nolan, Ausst.-kat. Nolan/Eckman Gallery, New York 1999, 39 S.
Erwin Pfrang. Arbeiten auf Papier, Odysseus und kein Ende, mit Texten von Claudia Denk, Tilman Falk und Michael Semff, 2 Bde., Ausst.- kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1998, Bd. I 71 S., Bd. II 46 S.
Alan Jones, „Erwin Pfrang“, in: 6 Personali, hg. v. Plinio de Martiis, Ausst.-kat. Castelluccio di Pienza – La Foce, Siena, 1997, S. 26–28.
Roberta Smith, »Erwin Pfrang«, Rezension, Ausst. Nolan/Eckman Gallery, New York, in: The New York Times, 20. Oktober 1995, S. 27.
James Joyce, Dubliner, übers. v. Harald Beck, illustr. v. Erwin Pfrang, mit einem Nachwort v. Wolfgang Hilbig, Leipzig 1994, 206 S.
Michael Kimmelmann, „James Joyce’s ‚Ulysses‘ Translated for the Eye“, Rezension, Ausst. David Nolan Gallery, in: The New York Times, 13. September 1991.
Erwin Pfrang: Circe Drawings Based on James Joyce’s ‚Ulysses‘, mit einem Text von Erwin Pfrang, Ausst.- kat David Nolan Gallery, New York 1991, 39 S.
Wolfgang Holler, Zeichenkunst der Gegenwart: Sammlung Prinz Franz von Bayern, Ausst.-kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1988, S. 147–149.
Erwin Pfrang. Zeichnungen, mit einem Text v. Dieter Kuhrmann, Ausst.-kat. Galerie Fred Jahn, München 1984.