„Je nach dem Akkumulationsgrad von Tradition wird ein gemaltes Bild zu einem Ideogramm zu einer Formel, mit der unverzüglich aufgrund der Korrespondenz ein Gegenstand verbunden wird. Das Wiedererkennen vollzieht sich in Sekundenschnelle. Wir hören auf, ein Bild zu sehen. Das Ideogramm muss deformiert werden. Der Maler als Neuerer muss an den Dingen sehen, was man gestern nicht sah, muss der Wahrnehmung eine neue Form geben.“ Roman Jakobson, „Über den Realismus in der Kunst“, 1921
Die Untersuchung der materiellen Komponenten eines Bildes nimmt in Erik Swars' künstlerischer Praxis eine zentrale Rolle ein, die gleichermaßen für die ästhetische Wahrnehmung seines malerischen Werks zwingend ist. Als Farbräume angelegt, oft als Bildobjekt an der Grenze von Zwei- zu Dreidimensionalität konzipiert, zeigen die großformatigen All-Over-Formate vor allem eines: Farbe auf Fläche. Und die Fläche ist Farbe. Ausgangspunkt von Swars' malerischen Untersuchungen ist der geschlossene Bildkörper. Der Bildträger, gerahmt und damit definiert, bleibt dem Tafelwerk der europäischen Renaissance verpflichtet. Allerdings stellt sich der junge Maler in eine ganz andere Tradition, wenn er sich konzeptuell auf die Bildfindungen der Künstlerinnen nach 1945 beruft, die vor allem eines im Sinn hatten: die Loslösung vom normierten Bildverständnis der Moderne. Die Berufung auf längst etablierte künstlerische Praxen der amerikanischen Expressionisten und Farbfeldmaler unter gleichzeitiger Bezugnahme auf Malerinnen der Neuen Wilden umschreibt vielleicht die Referenzpunkte, in denen sich Erik Swars mit seinen Bildfindungen bewegt und in deren Rahmen er unablässig die Zulässigkeiten von Malerei auslotet.
Gleichermaßen spielte Gegenständlichkeit und Abstraktion in seinen frühen Arbeiten eine gleichwertige Rolle, wenn Swars auf malerischen Bildgründen mit figurativen Darstellungen experimentierte. Skizzenhaft und nur schemenhaft deutete er auf mittlerem Bildformat Figuren und ihre Beziehung zueinander an. Im gestischen Ungefähr der schwarzen Konturlinie blieben die Protagonist*innen dieser realistischen Bildwelten in ihrer malerischen Uneindeutigkeit vor allem zeichenhaft, der monochrome Bildgrund wurde oft einzig durch eine farbig gefasste Umrahmung akzentuiert – als Setzung zu den fragilen Gouache-Zeichnungen.
In den vergangenen zwei Jahren sind die figurativen Andeutungen, das Erzählerische als Sujet und die beschreibenden Werktitel ganz allmählich aus den Arbeiten verschwunden. Geblieben ist der Farbraum, der sich nun als Bildraum behauptet. In diesem Prozess hat Swars auch die Leinwand als Bildgrund aufgegeben und angefangen, mit neuen Materialien zu experimentieren.
Das als Experiment gestartete Unterfangen ist womöglich der Beginn für einen „Ausstieg aus dem Bild“ (Laszlo Glozer), der sich zwischen den Gattungsgrenzen Objekt, Fotografie und Installation abspielt, wenn vorrangig die Einheit des perspektivischen Raums im Bild bzw. in der installativen Komposition in Frage gestellt wird. Auf was male ich? Wie ist die Konsistenz, wie ist das Bindemittel und Pigment beschaffen? Wie soll sich Farbe mit dem Untergrund verbinden? Und was passiert beim Auftragen des Malmittels als abstrahierte Geste?
Statt der Leinwand als konventionellem Bildträger kommt seit zwei Jahren ausschließlich Alu-PE zum Einsatz. Alu-PE ist eine dünne Folie, die in der Verpackungsindustrie verwendet wird und die sich durch eine besondere Oberflächeneigenschaft auszeichnet. Reißfest, glatt und ohne Struktur nimmt diese keine gebundenen Farbmittel auf. Das Bindemittel kann nicht in den Bildträger eindiffundieren, sondern bleibt quasi eins zu eins auf der Malfolie stehen. Die plastische Elastizität und der Glanz des Bildträgers spiegeln unablässig Farbschicht und Umraum wider. Die komplexe Folie ist ein Beispiel par excellence für die Verwendung eines absolut zeitgenössischen Materials. Eingeschlagen auf dem Keilrahmen und rückseitig fixiert, markiert die Folie nach unten einen runden Bogen als Abschluss des Bildes und bleibt nach rechts und links offen, so dass der Rahmen nicht unter dem Material verschwindet.
Wenn Walter Benjamin in seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1935) davon spricht, dass „die Einzigkeit des Kunstwerks identisch [ist] mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition“, dann bezieht er sich hier auf den mit dem Beginn der Moderne einhergehenden technischen Fortschritt und die damit verbundenen, sich verändernden Wahrnehmungsmodalitäten.
Auch in Erik Swars Bildfindungen haben wir es eindeutig mit dem Anspruch zu tun, ein neues Materialverständnis mit unseren Sehgewohnheiten und dem Kanon der abstrakten Malerei abgleichen zu wollen. Darüber hinaus wird das Spektrum an Gattungen und Materialität durch die Einbringung von Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Archiv des Künstlers in räumliche Arrangements erweitert und die Wechselwirkung von Oberflächen in Malerei, Fotografie und Raum untersucht, die Swars als allumfassende Geste begreift. Diese Erweiterung und Ausdehnung der künstlerischen Praxis ist als forschende Untersuchung zu verstehen. Die Frage nach der Delegitimierung von Imitation in den Gemälden und raumbezogenen Installationen ist noch lange nicht beantwortet.
Erik Swars (*1988 in Zwenkau, lebt in Leipzig) studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig bei Jochen Plogsties, an der Leipzig School of Design bei Christian Weihrauch, in Tokyo, an der Geidai University of the Arts bei O JUN und schließlich an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle bei Christine Triebsch, wo er auch sein Diplom machte.
Gwendolin Kremer („Wie und aus was ist ein Bild gemacht?“ Erik Swars' Erforschung der Malerei)